Getto

 n.  Z des Gettos die Gettos

Bedeutungen

[1] historisch: von der jüdischen Bevölkerung (anfänglich freiwillig, später zwangsweise) bewohntes, von den übrigen Stadtvierteln (durch Mauern oder Ähnliches) abgetrenntes Viertel
[2] früher, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus: (militärisch streng bewachtes) isoliertes Stadtviertel, in dem die jüdische Bevölkerung gezwungenermaßen abgesondert von der übrigen Stadtbevölkerung (in unmenschlichen Lebensverhältnissen) leben musste
[3] zumeist abwertend: von diskriminierten Minderheiten, Ausländern oder auch privilegierten Bevölkerungsgruppen bewohnter Bezirk beziehungsweise Viertel einer Stadt
[4] bestimmte (soziale, wirtschaftliche oder dergleichen) mentale oder psychische Sphäre, der sich jemand nicht entziehen kann
Herkunft
Eine seit der 1. Hälfte❬ref name="Pfeifer"❭❬/ref❭ des 17. Jahrhunderts❬ref name="Pfeifer"/❭❬ref name="Kluge"❭, Seite 354.❬/ref❭, zunächst in Berichten über Italien❬ref name="Pfeifer"/❭, bezeugte Entlehnung aus italienisch ghetto m❬ref name="Pfeifer"/❭❬ref name="Kluge"/❭❬ref name="DFW"❭, Seite 508.❬/ref❭❬ref name="DUW"❭, Seite 687.❬/ref❭❬ref name="wissen.de"❭❬/ref❭, das ursprünglich das Judenviertel in Venedig (seit dem 16. Jahrhundert) bezeichnete❬ref name="Kluge"/❭. Die Etymologie ist nicht eindeutig geklärt.❬ref name="Pfeifer"/❭❬ref name="DFW"/❭❬ref name="DUW"/❭ Sicher ist jedoch, dass in Verbindung mit der von Italien ausgehenden Absonderung der Juden in eigene Stadtviertel die italienische Bezeichnung in andere Sprachen gelangte.❬ref name="Pfeifer"/❭ Die jüdische Gemeinde wurde in Venedig auf Beschluss eines Dekrets der Regierung der Republik Venedig vom 29. März 1516 auf ein einziges Stadtviertel❬ref name="WP"❭Wikipedia-Artikel Getto#Etymologie_und_Geschichtliches❬/ref❭ auf dem Gelände einer Gießerei (Geto Nuovodie neue Gießerei“, als einschlägige Bezeichnung schon 1531) beschränkt❬ref name="Kluge"/❭❬ref name="Pfeifer"/❭❬ref name="wissen.de"/❭, das sich auf einer Insel im Sestiere Cannaregio im Nordwesten der Stadt befindet❬ref❭Wikipedia-Artikel Ghetto (Venedig)❬/ref❭, und wo sie getrennt von ihren christlichen Mitbürgern lebte❬ref name="Pfeifer"/❭. Dann kam die alte Gießerei (Geto Vecchio) dazu und schließlich wurde das Geto Nuovissimo angeschlossen, wo sich gar keine Gießerei mehr befand.❬ref name="Kluge"/❭ In dieser Zeit hatte Geto also bereits die BedeutungJudenviertelangenommen.❬ref name="Kluge"/❭ Da Venedig als erste Stadt ein eigenes Viertel für die Juden hatte, wurde der Name vorbildlich.❬ref name="Kluge"/❭ Man versucht also, italienisch ghetto von Geto herzuleiten.❬ref name="Pfeifer"/❭ Da auf der Insel Geto Nuovo im Mittelalter Metallgießereien (unter anderem Kanonengießereien❬ref❭Doris Scherer: Ghetto. Erklärung des Wortes - Herkunft und Bezeichnung. In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Erzieherausschuss der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Stuttgart (Hrsg.): Ghettos. Vorstufen der Vernichtung. 1939–1944 Menschen in Grenzsituationen. Texte und Unterrichtsvorschläge, Stuttgart, Mai 2000. Abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF). Zitiert nach http://www.lpb-bw.de/.❬/ref❭❬ref❭Gerhard Krause, Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 13. Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VI – Gottesbeweise, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1984. Seite 155. ISBN 311008581X. Zitiert nach .❬/ref❭❬ref❭Marlene Grund: Venezianische Zeitreise. Italien: Noch immer leben einige Juden im einstigen Ghetto und pflegen dort alte Traditionen. In: Jüdische Allgemeine, 16.03.2006. Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010.❬/ref❭) betrieben wurden, ist ein Zusammenhang mit italienisch gettare ˌʤetˈtaːre „(Metalle) in Formen gießen“ möglich.❬ref name="Pfeifer"/❭ Das zugehörige italienische Verbalsubstantiv getto ˈʤɛtto „Guss“ (im venezianischen Dialekt ghèto ❬ref name="WP"/❭❬ref name="wissen.de"/❭) kann von italienischen Juden lautlich mit hebräisch in Beziehung gesetzt worden sein, was eine Entwicklung von getto zu ghetto ˈɡɛtto erklären würde.❬ref name="Pfeifer"/❭ Es wird ebenfalls versucht, das Wort von italienisch Egitto Ägypten“ (wohl in Anlehnung an dem im Alten Testament geschilderten Auszug der Israeliten aus Ägypten)❬ref name="OEtymD"❭❬/ref❭ sowie von italienisch borghetto , dem Diminutiv von borgo „(Vorstadt-)Viertel“, herzuleiten❬ref name="OEtymD"/❭❬ref❭Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7, Leipzig 1907. Seite 772. Zitiert nach http://www.zeno.org/Meyers-1905/.❬/ref❭.
Synonyme
[1] Judenquartier, Judenviertel
Sinnverwandte Wörter
[1] Judengasse, Judería, Mellah, Schtetl/Stetl
[3] Viertel unterprivilegierter Bevölkerungsschichten: Armenviertel, Barriada, Bidonville, Elendsquartier, Elendsviertel, Favela, Shantytown, Slum, Township, Tugurio
[3] Viertel unterprivilegierter Bevölkerungsschichten: Banlieue, Problemviertel, sozialer Brennpunkt, Trabantenstadt
[3] Viertel privilegierter Bevölkerungsschichten: Bonzengegend, Bonzenviertel, österreichisch: Cottage, umgangssprachlich: Prominentenhügel, Reichenviertel, Villengegend, Villenviertel
Oberbegriffe
[1–3] Stadtviertel, Viertel, Wohnviertel
[4] Bereich, Bezirk, Rahmen, Sphäre
Unterbegriffe
[1–3] Judengetto
[2] alle in der Liste der Gettos in der Zeit des Nationalsozialismus aufgeführten
[2,] Shanghaier Getto
[3] Armengetto, Farbigengetto, Gastarbeitergetto, Intellektuellen-Getto, Intelligenz-Getto, Schwarzengetto
Beispiele
[1] „Ich sage die Auffindung, denn die Juden, die dasselbe aus dem großen Brande des zweiten Tempels gerettet, und es im Exile gleichsam wie ein portatives Vaterland mit sich herumschleppten, das ganze Mittelalter hindurch, sie hielten diesen Schatz sorgsam verborgen in ihrem Getto, wo die deutschen Gelehrten, Vorgänger und Beginner der Reformation, hinschlichen um Hebräisch zu lernen, um den Schlüssel zu der Truhe zu gewinnen, welche den Schatz barg.“❬ref❭Heinrich Heine: Geständnisse, 1854. In: Sämtliche Werke II, Artemis & Winkler Verlag, München 1969. Seite 741–744. ISBN 3538053472. Abgerufen am 02. Dezember 2010. Zitiert nach http://gutenberg.spiegel.de/.❬/ref❭
[1] „Überall die Schranken des Gettos, die noch lange nicht beseitigt sind in unseren Tagen, und die um so drückender und erniedrigender wirken, weil sie nicht mehr als eine weithin sichtbare Mauer, sondern mehr wie eine gläserne Wand Mensch von Menschen, Rasse von Rasse scheiden.“❬ref❭Wilhelm von Polenz: Wurzellocker – Erster Band, F. Fontane & Co., 1902. Abgerufen am 02. Dezember 2010. Zitiert nach http://gutenberg.spiegel.de/.❬/ref❭
[1] „Die These von der Autorschaft Goethes kann sich sowohl auf sein durch die Jugendschriften bezeugtes intensives Interesse am Studium des Alten Testaments und des Hebräischen als auch auf die gut belegten Kontakte mit dem Frankfurter Judentum und dem im Getto gesprochenen Jiddisch stützen, das sich zum Teil mit dem Frankfurter Lokaldialekt vermischt hatte.“❬ref❭KLEINE PROSA. Judenpredigt, Kommentar. In: Waltraud Wiethölter, in Zusammenarbeit mit Christoph Brecht (Hrsg.): Die Leiden des jungen Werthers. Die Wahlverwandschaften. Kleine Prosa. Epen. [Text], Band 11, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2006. Seite 1087. ISBN 9783618680116.❬/ref❭
[1] „Hier stehen Ludwig Börne und Heinrich Heine, zwei Juden, die Protagonisten des ‚Jungen Deutschland‘, wir schreiben das Jahr 1827, Börne macht den Stadtführer und zeigt dem Besucher nach dem Palais Thurn und Taxis - dem Sitz des Bundestags - den Römer und schließlich die Judengasse, das Frankfurter Getto, das erst sechzehn Jahre zuvor mehr schlecht als recht aufgelöst worden war.“❬ref❭Frank Schirrmacher: Börne-Preis 2009. Solidarität mit dem jungen Deutschland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.06.2009. Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010.❬/ref❭
[2] „Wenig später ergibt sich daraus eine längere Tätigkeit: Der das Getto verwaltende ‚Judenrat‘ ernennt ihn zum Chef des ‚Übersetzungs- und Korrespondenzbüros‘. Von November 1940 bis Februar 1943 lebt Reich-Ranicki im Getto.“❬ref❭Tina Rausch: Erläuterungen zu „Mein Leben“, Mai 2005. Seite 7. Abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF).❬/ref❭
[2] „Im Oktober wurde das alte Judenviertel zum Getto deklariert und ca. 45.000 Juden auf engstem Raum zusammengepfercht.“❬ref❭Jens Birkmeyer: Metaphern des Holocaust. Lyrisches Erinnern und Gedenken in Rose Ausländers Werk. In: Helmut Braun (Hrsg.): Rose Ausländer: sprachmächtige Zeugin des 20. Jahrhunderts. Berliner Symposion 2002, Rose Ausländer-Stiftung, Köln 2006. Seite 13. Abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF). Zitiert nach http://www.roseauslaender-stiftung.de/.❬/ref❭
[2] „Am 20. Dezember musste die jüdische Bevölkerung ohne Vorankündigung der deutschen Behörden sofort in einen kleinen Teil der Stadt umziehen, der seitdem bei der Bevölkerung Getto hieß.[…]Dieses Getto hatte weder Zäune noch Mauern; nur deutsche oder polnische Polizisten standen an der Gettogrenze.[…] Aus dem Baltikum und der Ukraine kamen auch Hilfswillige, die der SS bei der Deportation aus den Gettos im besetzten Polen halfen.“❬ref❭Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: 27. Januar – Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 27. Januar 2010. Ansprache des Direktors des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau, Professor Dr. Feliks Tych. In: BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG, Nummer 14-3, 07.02.2010. Seite 2 und 7. Abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF).❬/ref❭
[3] „Ihre einzige Reaktion auf eine Negerkrise ist, die Polizeimacht im Getto zu verstärken, und je mehr die Polizeimacht verstärkt wird, um so mehr wird das Getto gedemütigt und um so feindseliger wird es.“❬ref❭„IN HARLEM WERDEN WAFFEN GEHORTET!“ In: DER SPIEGEL, Heft 31, 29.07.1964. Seite 59. . Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF).❬/ref❭
[3] „In diesem Getto wohnen nur Schwarze, aber Weiße unterhalten zahlreiche der ärmlichen Drugstores, Pfandhäuser, Schnaps- und Möbelläden.“❬ref❭Dieter Wild: „BLUT IST DICKER ALS DIE ARMY“. In: DER SPIEGEL, Heft 33, 07.08.1967. Seite 68. . Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF).❬/ref❭
[3] „Der Film zeigt die winterliche Slum-Landschaft der Süd-Bronx und gibt einen Einblick in die desolaten Lebensumstände der Menschen, die ihr Dasein im Getto fristen.“❬ref❭Breakdance im Hollywood-Musical. In: DER SPIEGEL, Heft 26, 25.06.1984. Seite 156. . Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF).❬/ref❭
[4] „Ich bin gegen eine solche Selbstisolation der Kirche und gegen eine Einschränkung der Gesprächsbereitschaft. Dieses Getto hat der Kirche noch nie gutgetan.“❬ref❭„Dieses Getto hat der Kirche nie gutgetan“. In: DER SPIEGEL, Heft 38, 15.09.1986. Seite 132. . Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF).❬/ref❭
[4] „Mit all jenen Ausländerjugendlichen, die sich von der Gesellschaft abgemeldet haben, sich mit Gewalt durchs Leben schlagen und bei denen sämtliche Anstrengungen, sie aus ihrem inneren Getto herauszuholen, nichts genützt haben?“❬ref❭Christof Moser, Markus Schär, Dan Cermak: Das Getto in uns. In: Die Weltwoche, Ausgabe 48, 30.11.2005. Online-Ausgabe abgerufen am 02. Dezember 2010.❬/ref❭
[4] „Immer wieder finden sich Bonhoeffers Warnungen vor der Flucht in ein spirituelles, selbstbeschauliches Getto.“❬ref❭Prof. Dr. Sabine Bobert: Das Amt zwischen Boulevard und Getto. Theologische Existenz in einer religiös globalisierten und religiös autonomen Gesellschaft. Seite 9. In: Arbeitsstelle Gottesdienst (19) 2005. Seite 17–31. Abgerufen am 02. Dezember 2010 (PDF). Zitiert nach http://www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/bobert/bobert_publ.shtml.❬/ref❭
Charakteristische Wortkombinationen
[1–4] im Getto leben
[1–3] in Gettos zernieren
[1] römisches Getto, venezianisches Getto
[3] die Gettos der Schwarzen; ein Getto der Alten, ein Getto der Homosexuellen, ein Getto der Reichen
Wortbildungen
[1–4] gettoisieren (→ Gettoisierung)
[1–3] Gettoaufstand, Gettobewohner
[1] Gettonovelle
[2] Gettoinsasse, Gettopolizei (→ Gettopolizist)
[3] Gettobildung, Gettoblaster, Getto-Jugend, Getto-Kid

Referenzen

[1,] , Seite 508.
[2–4] , Seite 687.
[2,] Dr. Dieter Götz; Dr. Günther Haensch; Dr. Hans Wellmann (Hrsg.): Langenscheidts Großwörterbuch. Deutsch als Fremdsprache. Das neue einsprachige Wörterbuch für Deutschlernende, 8. Auflage, Langenscheidt, Berlin/München 1997. Seite 403–404. ISBN 9783468490002.
[3]
[1–4] Wikipedia-Artikel Getto
[2] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache Getto
[*] canoo.net Getto
[*] Uni Leipzig: Wortschatz-Lexikon Getto
[2,] The Free Dictionary Getto
[1,]
[1] , Band 7, 1859. Seite 311.
[1] Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7, Leipzig 1907. Seite 772. Zitiert nach http://www.zeno.org/Meyers-1905/.
Quellen

Ähnliche Wörter

getto, ghetto, Ghetto, Geta, Getu, Getue, Kette

Substantiv,

Kasus Singular 1 Singular 2 Plural 1 Plural 2
Nominativ Getto Getto Gettos Getti
Genitiv Gettos Gettos Gettos Getti
Dativ Getto Getto Gettos Getti
Akkusativ Getto Getto Gettos Getti
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Das »Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh. (DWDS)« ist eines der wenigen Wörterbücher, die das Wort auch als Maskulinum kennzeichnen.[1] Der Gebrauch des maskulinen Artikels ist jedoch sehr selten und gilt als veraltet. Die Pluralform »Getti« wird in der Schreibweise »Ghetti« in »Meyers Großes Konversations-Lexikon« aus dem Jahre 1905 erwähnt.[2] Sie scheint heute nicht mehr gebräuchlich zu sein und ist somit als veraltet anzusehen. Beispiele hierfür sind im Eintrag »Ghetto« aufgeführt.
Alternative Schreibweisen
Ghetto
Worttrennung
Get·to, Pl 1: Get·tos, Pl 2: Get·ti
Aussprache
IPA ˈɡɛto, Pl 1: ˈɡɛtos, Pl 2: ˈɡɛti
Hörbeispiele: , Pl 1: , Pl 2:
Reime -ɛto
Betonung
Ghẹtto

zählbar

Kasus Singular Plural
Nominativ das Getto die Gettos
Genitiv des Gettos der Gettos
Dativ dem Getto den Gettos
Akkusativ das Getto die Gettos
单数 复数